Ritournelle 2019: Abriss in Bild und Ton


Ellen Allien, Kyoka, Pan Daijing, Lorenzo Senni und Roly Porter & MFO: Das Line-Up des diesjährigen Ritournelle Festivals am 9. März in den Kammerspielen klingt nach avancierter und bestens bebilderter Abrissparty. 

Im vergangenen Jahr gab es kaum eine Inszenierung an den Münchner Kammerspielen, in der die freien und festangestellten Performerinnen, Chorographinnen, Schauspielerinnen und Regisseurinnen ohne Seitenhieb auf das nahende Ende der Lilienthalschen Intendanz auskamen. Zu offen, zu experimentell und vor allem zu politisch ist das Haus unter Lilienthal für die – zu große – CSU-Fraktion im Münchner Stadtrat, weshalb der Vertrag des Intendanten nicht über 2020 hinaus verlängert wird. Auch wenn es für eine Abrissparty eigentlich noch ein Jahr zu früh ist, kommt man nicht umhin, die in diesem Jahr ungewöhnlich technoid und dystopisch besetzte Festivalnacht Ritournelle in diese Richtung zu deuten. Kurator Tobias Staab, einst Redakteur beim schönsten, besten und schlausten Stadtmagazin Münchens und Dramaturg unter Lilienthals Vorgänger Johan Simons, hat für die siebte Auflage seines Festivals „für avancierte elektronische Popmusik“ den Pop gestrichen und vergleichsweise hart und düster gebooked.


Headliner des Abends ist Techno-Pionierin Ellen Allien. Die Berlinerin ist seit Anfang der 90er eine der prägenden Figuren der Szene. Als in den wilden Wendejahren junge Leute ganze Straßenzüge in Ostberlin okkupieren und von dort aus eine Jugendkultur begründen, die diese Selbstermächtigung in sich trägt, ist Ellen Allien als DJ mittendrin. Sie legt als Resident in legendären Clubs wie dem E-Werk oder dem Tresor auf, veröffentlicht 1995 ihre ersten EPs und gründet bald darauf zunächst das Label Braincandy und 1999 dann BPitch-Control, das schnell zu einem der einflussreichsten Label für elektronische Musik wird. 20 Jahre später ist Ellen Allien noch immer da, bespielt mit energetischen DJ-Sets die größten Techno-Bühnen der Welt und hat mit UFO Inc. gerade wieder ein neues Label gegründet. Im Studio arbeitet sie in letzter Zeit mit der Japanerin Kyoko zusammen, die bei Ritournelle ihr München-Debüt geben wird. Die mittlerweile in Berlin lebende Produzentin verbindet mit viel Gespür für Songaufbau und -dekonstruktion kompromisslos harten Techno mit gebrochenen Beats, Gesangssamples und scheppernden Fieldrecordings.


Ihre noisig-wummernden Live-Sets spielt Kyoko vor wilden Lichtinstallationen und auch die anderen Acts des Abends versprechen besondere audiovisuelle Musikerlebnisse: Die chinesische Exilberlinerin Pan Daijing etwa verbindet zerklüftete, harsche Sounds mit beunruhigenden, düsteren Visuals. Ihre kontrastreichen, oft hörspielartigen Arrangements vermitteln so etwas Unmittelbares und Dringliches und stellen schnell eine seltsame Vertrautheit zwischen Künstlerin und Publikum her. Gemeinsam mit der Opernsängerin und Tänzerin Gregori Homa wird sie in den Kammerspielen die Konzert-Performance „Fist Piece“ präsentieren. Auch Roly Porter setzt auf enge Verzahnung von Bild und Ton. Der Brite war früher Teil des Industrial-Dubstep-Duos Vex'da und bleibt auch als Solokünstler aggressiven, seismischen Bässen treu. Für seine Live Performances kollaboriert er mit Visual Artists wie Lucy Benson und Marcel Weber aka MFO, die ihn auch in die Kammerspiele begleiten werden. Für einige wenige Farbkleckse könnte an diesem Abend der Italiener Lorenzo Senni sorgen. Der Gründer und Betreiber des Experimental-Labels Presto !? Records dekonstruiert die Rave-Kultur der 90er und setzt sie nach eingehender Analyse der einzelnen Bestandteile wieder zu trancigen Livesets und hypnotischen Lasershows zusammen. 

für: superpaper