Molly Nilsson: Seele essen Angst auf


Die Berliner Songwriterin Molly Nilsson hat die schräge Idee, die Zukunft könnte gut werden. Zumindest kurzfristig mag das zutreffen, denn Nilsson geht anlässlich ihres neuen Albums „2020“ auf Tour und gastiert am 4. Dezember auch im Münchner Ampere.

Als Molly Nilsson 2007 von Stockholm nach Berlin zieht, strebt sie eigentlich eine Karriere als Comic-Zeichnerin an. Zur Musik kommt sie eher zufällig: Ihre Mitbewohnerin hat ein Keyboard an dem auch sie nach und nach Gefallen findet. Bereits ein Jahr später erscheint ihr Debütalbum „These Things Take Time“. Die Erstauflage von 500 CDs brennt Nilsson selbst, nummeriert sie von Hand und gestaltet Booklet und Cover. Musikalisch schmiegt sie sich an den Dark Wave der 80er und den Euro Dance der 90er. Der filigrane Einsatz scheppernder Lo-Fi-Synthis erinnert aber auch an den wunderbaren John Maus, der drei Jahre später den Song „Hey Moon“ covert und Nilsson so zu internationaler Sichtbarkeit verhilft. Sie selbst findet das gleichermaßen schmeichelhaft wie ärgerlich, illustriert es doch einmal mehr die Mechanismen im männlich dominierten Pop-Zirkus. 


Den Karriere-Anschub durch den ehemaligen Keyboarder von Ariel Pink und Animal Collective hätte es auch kaum gebraucht. Nilsson veröffentlicht im Jahres-Rhythmus Alben auf ihrem eigenen Label Dark Skies Association und reiht einen Synthie-Pop-Hit an den nächsten. Die leiernde Instrumentierung und die unpräzisen Rhythmusmaschinen versprühen dabei den warmen Charme des Hausgemachten und die Breite der DX7-Arpeaggios Pathos und kathedralische Erhabenheit. Eine Spannung, die Nilsson auch in ihren Texten transportiert. So singt sie etwa von der Sehnsucht nach Liebe und Romantik, gleichzeitig aber auch vom Wunsch, Emotionen einfach abzuschalten bevor sie unser Leben auf den Kopf stellen. Andere Songs, vor allem auch die der neuen Platte „2020“, erzählen vom Ungleichgewicht zwischen Mensch und Politik, kritisieren Neoliberalismus, Protektionismus oder das weiße Patriarchat. Anders als die meisten, zieht Nilsson aber aus der Tatsache, dass das alles immer schlimmer wird keine fatalistischen Schlüsse sondern setzt anstelle von Angst Hoffnung und Zuversicht. Ein Optimismus der aus der Zeit gefallen scheint, aber klug artikuliert und in Verbindung mit ihren tröstenden Gesangs- und Keyboardmelodien durchaus überzeugend daherkommt. Sich hinter Selbstmitleid zu verstecken ist für Nilsson keine Option und so schüttet sie die Gräben, die sie in ihren Songs aufreißt verlässlich auch wieder zu. Das Gute wird siegen, wenn nicht heute dann ganz bestimmt morgen und dann wird es kein Zurück geben in den turbokapitalistischen und nationalistischen Sumpf unserer Tage.


Hoffnungsvoll plakative Ausdrucksformen liegen Nilsson nicht nur in der Musik selbst. Für ihre Artworks verwendet sie gern bekannte Symbole und setzt sie so in einen anderen Kontext. Das Logo ihres Labels Dark Skies Association etwa zeigt die Flagge der EU und das Cover ihres vierten Albums „History“ ziert das Zeichen, das auf der Mac-Tastatur einst den Apfel abgelöst hat. In Nilssons Heimatland Schweden findet sich diese Vierfachschlaufe auch auf Straßenschildern und weist den Weg zu Touristenattraktionen. Eine Chiffre für den Konflikt zwischen Online-Welt und echtem Leben? Zwischen Globalisierung und Heimatverbundenheit? Molly Nilsson, davon dürfen wir ausgehen, sieht solch scheinbare Widersprüche vielmehr als Chance denn als Hindernis und holt sich das Beste aus beiden Welten. Wie gut sie das Spiel mit Authentizität und Inszenierung beherrscht, zeigt sie nicht zu Letzt bei ihren Live-Auftritten: Elegant, fast divenhaft betritt sie die Bühne. Dort wartet nicht etwa ein kleines Kammerorchester sondern meist nur ein CD-Player, der ihre Lieder in bemerkenswert schlechter Qualität abspielt. Dazu singt sie dann. Warm, seelenvoll und voller Optimismus.

Für: superpaper