2018 on 33


„Kunst kommt vom kontern“ hat der bayerische Querkopf Herbert Achternbusch einst festgestellt und das Pop-Jahr 2018 hat dies einmal mehr unterstrichen. Gründe aufzubegehren gab es reichlich: Wachsende Ungleichheit, rücksichtsloser Lobbyismus, grassierender Nationalismus, Machtmissbrauch und Alltagssexismus, an dem sich auch im Jahr nach #metoo kaum etwas geändert hat. Die Wut darüber und die Gewissheit, dem allen nicht ohnmächtig gegenüberstehen zu wollen, hat viele Künstlerinnen und Künstler angetrieben, großartige Alben zu veröffentlichen und die Auswahl der jahresbesten angenehm erschwert:   


Noname - Room 25

Boom-Bap-Beats und poetischer Conscious Rap kamen lange nicht so catchy und überzeugend daher, wie auf „Room 25“, dem grandiosem Debüt von Fatimah Nyeema Warner aka Noname. Smooth und seelenvoll rappt die 27-jährige über ihr Leben als schwarze Frau in Amerika. In ihrer Heimatstadt Chicago hat sich Warner auch in der Poetry-Szene einen Namen gemacht und so sind auch ihre Songs reine Gedankenströme, die sie in soulige Beats und kuschlige Melodien bettet.





Farai - Rebirth

Die in Simbabwe geborene und in London aufgewachsene Sängerin kombiniert die Wucht und den Ethos des Punk mit Grime-inspirierten Beats, mächtigen Synthis und Hooks aus R&B und Hip-Hop. So bannt sie mit zahlreichen Anleihen aus der britischen Musikkultur und wütenden Texten die aufgeheizte Stimmung im Prä-Brexit-UK auf ihr wunderbares Debüt „Rebirth“.



Mac Miller - Swimming

Mehr als mit den Verhältnissen hatte Mac Miller mit sich selbst zu kämpfen und am Ende waren die Dämonen, die er auch in seiner Musik zu verarbeiten suchte, stärker: Einen Monat nach Veröffentlichung seines großartigen Albums „Swimming“ wurde der amerikanische Rapper tot in seinem Haus in LA aufgefunden. Er starb mit 26 Jahren an einer kombinierten Überdosis aus Tranquilizern, Kokain und Alkohol. Miller war ein Rapper, der den Rap-Zirkus nie so recht mitgemacht hat. Statt über die Größe seiner Eier oder seines Jacuzzis sang er über Gefühle und die eigene Verletzlichkeit, ohne damit am Troubled Star-Image zu arbeiten, das die Industrie für ihn vorgesehen hatte. Auf „Swimming“ tat er dies besonders eindringlich, schön und seelenvoll und die Unmittelbarkeit und Wärme dieses letzten Albums lassen seinen Verlust sonderbar nah erscheinen.




Tirzah - Devotion

In den letzten Jahren tröpfelten immer wieder einzelne Songs, Videos und schließlich eine EP der Londoner Sängerin Tirzah aus dem Äther, die stets in Zusammenarbeit mit ihrer Schulfreundin Mica Levi aka Micachu entstanden sind. Auch auf Tirzahs überfälligen Debüt „Devotion“ bilden Levis brüchige Beats und Pianolines die perfekte Grundlage für ihren zurückgenommenen und doch souligen Gesang. Die Mischung aus minimalistischer Instrumentierung, schweren, schleppenden Beats und klugen, persönlichen Texten lassen „Devotion“ aus den vielen guten Contemporary R&B-Alben des Jahres herausstechen.




U.S. Girls - In A Poem Unlimited

Meg Remy aka U.S. Girls hat im Februar ihr sechstes Album „In A Poem Unlimited“ veröffentlicht. Während in der Vergangenheit meist Samples den typischen U.S. Girls-Sound ausmachten, sind es auf der neuen Platte analoge Beats und eine phasenweise fast orchestrale Instrumentierung. Mit über 20 Musikerinnen und Musikern hat Remy während der Aufnahmen zusammengearbeitet und sich trotz aller Professionalität und Pop-Affinität weiterhin einen gewissen DIY-Charme erhalten. Inhaltlich  transportiert „In A Poem Unlimited“ vielleicht noch filigraner als die Vorgänger-Alben eine klar politische und feministische Agenda.




Stella Sommer - 13 Kinds of Happiness 

Stella Sommer, die Sängerin der Hamburger Band Die Heiterkeit, hat 2018 ihr Solo-Debüt „13 Kinds Of Happiness“ vorgelegt. Das Album changiert zwischen Indie- und Goth-Rock, zwischen Düsternis und Eingängigkeit und wird von Sommers tiefer, sonorer Stimme getragen. Leicht gelangweilt und dennoch überwältigend singt sie fast ausschließlich auf Englisch über Einsamkeit, Abschied und Glück. 




The Guests - Popular Music

Christian Vogan und Alkis Meimaris aus Philadelphia haben schon zu Schulzeiten zusammen in einer New Order Coverband gespielt. Als The Guests schreiben sie nun gemeinsam mit Mitgliedern der Punkrock Band Sheer Mag eigene New Wave-Hits.




Exploded View - Obey

Der spröde, eindringliche Gesang der deutsch-britischen Sängerin und Journalistin Annika Henderson aka Anika bestimmt auch das zweite Album ihrer Band Exploded View. Das Trio verbindet Kraut-Rock, New Wave und Noise zu wunderbar kantig und dennoch schwerelosen Pop-Collagen, 




The Internet - Hive Minds

The Internet haben auf „Hive Minds“ ihren sphärisch-elektronischen Soul weiter perfektioniert. Das vierte Album des R&B-Kollektivs ist ein kleines Meisterwerk, das die Grenzen zwischen Rap, Soul und Jazz kaleidoskopisch verwischt.




Galcher Lustwerk - 200% Galcher

Mit tiefen Bässen und gemurmelten Raps wurde der House-Produzent Galcher Lustwerk nach dem Release seines Mixtapes „100% Galcher“ vor fünf Jahren quasi über Nacht zum Liebling der Clubs von New York bis London. Es folgte das gefeierte Studio-Debüt „Dark Bliss“, weitere Mixtapes und 2018 schließlich das zweite Studio-Album „200% Galcher“. Darauf hat der New Yorker an kleinen aber effektiven Stellschrauben gedreht: Die Bässe stottern etwas weniger, die Raps sind freigeräumt von zu viel Hall und der Rückgriff auf Hip-Hop, Jazz und Funk ist noch eindeutiger als bisher.