Alien Disko #2: Heute Disko, morgen Umsturz


Für die zweite Ausgabe ihres Alien-Disko-Festivals holen The Notwist am 15. und 16. Dezember unter anderem Shabazz Palaces, Colleen, Konono N°1 und Vanishing Twin in die Münchner Kammerspiele.

Lilienthals Kammerspiele gehen in die dritte Spielzeit. Noch immer ringt der Intendant um Geduld und Verständnis für seine – oftmals zur Invasion stilisierte – Neuausrichtung des Hauses, das er 2015 als Theater des Jahres übernahm. Die strukturelle Öffnung hin zu freien Gruppen und die Akzentuierung des Politischen wird immer noch kritisch beäugt. Von Teilen des Münchner Publikums, vor allem aber von Teilen der Münchner Presse. Gewiss wirkt manches am Haus derzeit unfertig, unperfekt, im Fluss. Das kann sehr schön und spannend sein, aber auch enttäuschend, wenn das Gefühl bleibt, dass Spiel oder Arrangement mehr Potenzial gehabt hätte, als gezeigt wurde. Neben der vielleicht nicht für jede und jeden geglückten Konfrontation von Schauspiel und Performance gibt es aber weiterhin genügend Inszenierungen, die vom Münchner Publikum gut angenommen werden. So ist die Auslastung in den letzten beiden Spielzeiten zwar leicht, aber keineswegs dramatisch gesunken. Dafür zeigt der deutlich erhöhte Absatz von Studierendenkarten, dass sich das Publikum, wie gewünscht, verjüngt hat. Neben der künstlerisch und thematisch breiteren Ausrichtung hat dazu wohl auch das von Lilienthals Musik–Dramaturgen Christoph Gurk stets zeitgeistig zusammengestellte Konzert-Programm beigetragen. Prototypisch für das neue musikalische Programm ist das von The Notwist kuratierte Festival Alien Disko, das im letzten Jahr erstmals ausgetragen wurde und nun seine Fortsetzung findet.

Eingeladen haben The Notwist auch diesmal ein gutes Dutzend Acts aus aller Welt. Fast ein wenig pflichtbewusst weist das Programmheft dies als politisches Statement gegen Grenzen, Rechtspopulismus und rassistische Gewalt aus. Das schadet natürlich nie. Und ganz gewiss stehen The Notwist – als Band und mit Ihren unzähligen Nebenprojekten – dafür, sowohl Länder- als auch Genre-Grenzen zu überwinden, oder gar nicht erst als Hindernisse anzuerkennen. Eines dieser Projekte ist Spirit Fest um das Tokioter Ehepaar Saya und Takashi Ueno, aka Tenniscoats, und Notwists Markus Acher. Zur Zusammenarbeit kam es nach dem Auftritt der Tenniscoats beim letztjährigen Alien-Disko-Festival. In diesem Jahr präsentieren Spirit Fest an selber Stelle den kosmisch-krautigen Kammer-Pop ihres gerade erschienenen Debüts. Das zweite Notwist-Nebenprojekt im Line-up ist Ms. John Soda, in dem Micha Acher und Stefanie Böhm schon seit Ende der 90er elektronische und analoge Moleküle zu jenem vielschichtigen wie reduzierten, euphorischen wie melancholischen Sound zusammenfügen, für den die kleine Stadt Weilheim Synonym in der urbanen Musikgeschichte wurde. 



Um Grenzen weit umfänglicherer Art dreht es sich derzeit beim Seattler Experimental-Hip-Hop Duo Shabazz Palaces. Gemeinsam mit dem Titelhelden ihrer jüngst erschienen Alben „Quazarz: Born On A Gangster Star“ und „Quazarz vs. The Jealous Machines“ scheinen Palaceer Lazaro und Baba Maraire nur zum kurzen musikalischen Austausch auf der Erde gelandet zu sein. Quazarz ist ein empfindsames Alien-Wesen, das während seiner unfreiwilligen Weltraumreise auf einen Planeten stößt, dessen Bewohner nicht zwischen realer und digitaler Sozialität unterscheiden und sich gerne die dümmstmöglichen Führer erwählen. Diesen Plot vertonen die beiden ein bisschen technoider als gewohnt, aber weiterhin ungemein funky und mit feinem Gespür für Brüche und Melodiösität.

Ein ähnlich vielfältiges Panoptikum entfacht die französische Multiinstrumentalistin Colleen. Ihr ätherischer Dreamfolk lebt vor allem von der elektronischen Verfremdung ihres Stamminstruments, der Bratsche, und findet so immer wieder Klänge, die nie direkt und doch auch nie gänzlich ungreifbar sind. Mit plätschernden Melodien und tröpfelnden Rhythmen lädt sie am zweiten Tag des Festivals in ihre hypnagogisch verschwommene Parallelwelt. Ebenfalls am zweiten Abend spielt die afrikanische Formation Konono N°1, deren Wurzeln bis in die 1960er Jahre zurück reichen, die aber erst 2004 mit ihrem Debütalbum „Congotronics“ eine breitere Öffentlichkeit auf sich aufmerksam machte. Die einzigartige Faszination ihres Instrumental-Technos beruht auf elektrisch verstärkten Daumenklavieren, einer wilden Rhythmus-Gruppe und einer surrealen Verstärkeranlage aus Megafonen, die Konono N°1 mit sirrenden Rückkopplungsschleifen live zu einem tranceähnlichen Erlebnis machen sollen.




Eingeladen haben The Notwist außerdem einige Acts, die musikalische und bildende Kunst zusammenführen. Etwa die Münchnerin Michaela Melián, die im letzten Jahr die wundervolle Ausstellung Electric Ladyland im Kunstbau des Lehnbachhauses konzipiert hat und in den 80ern Teil der Münchner Band Freiwillige Selbstkontrolle (F.S.K.) war. Auch bei der Supergroup Vanishing Twin aus London ist neben Musikerinnen und Musikern vom Innerspace Orchestra, Neon Neon, Zongamin und den Floating Points der Regisseur und Künstler Elliott Arndt aktiv. Das Duo Sculpture schließlich gestaltet seine Live Auftritte als eine Art back2back-Improvisation von elektronischer Musik, Videokunst und Animation.


Komplettiert wird das Alien-Disko #2 von den wunderbaren isländischen Post-Rocker*innen Amiina, dem Appalachian-Folk-Singer-Songwriter Sam Amidon, dem japanisch-deutschen Duo Hinosch und natürlich The Notwist selbst. Zwei Abende also mit einem Line-up, das in Qualität, Experimentierfreude und Weltoffenheit den Kammerspielen bestens zu Gesicht steht.

Für: superpaper