Ritorunelle beginnen das Jahr mit einem gewohnt zeitgeistigen Programm und holen am 4. Februar unter anderem Jenny Hval in die Münchner Kammerspiele.
2016 war nicht nur ein Jahr von Flucht und Terror, von
Polizeigewalt gegen Afroamerikaner*innen, von desillusionierenden Wahlen und
Wahlkämpfen – 2016 stand auch im Zeichen der Vagina. Ob im Freebleeding als Ausdruck feministischen Aktivismus oder als neu entdecktes
Lifestyle-Accessoire in Blogs und Magazinen: Die Vagina war im vergangenen Jahr
präsent wie nie. In Kunst und Musik ist die Auseinandersetzung mit Geschlecht
und Rolle freilich kein neues Phänomen. Eine, die diese sozialen Konstrukte
besonders anschaulich zerhackstückelt, ist die norwegische Sängerin und Autorin
Jenny Hval. Exemplarisch stehen dafür etwa Lieder von "capitalist clits" oder "soft
dicks". Ihr jüngstes Album "Blood Bitch", das im vergangenen Jahr erschien, handelt von Menstruation, Blut und Vampiren. Die Protagonist*innen hat Hval den Horrorfilmen des spanischen B-Movie-Regisseurs
Jess Franco entlehnt. Vor allem aus „Female Vampire“, der Geschichte einer Gräfin, die ihre Opfer so lange oral befriedigt, bis alles Leben
aus ihnen gewichen ist. Um diese Figur spinnt Hval eine konzeptuell brillante
und musikalisch vielschichtige tonale Erzählung: Pochend pulsierende
Beats, Vocalsamples und transzendenter Ambientkrach bilden die körperlosen
Flächen für ihren zwischen Schönheit und Horror changierenden Gesang. Die Musik
ist dabei gewissermaßen das Vehikel, mit dem Hval ihre Geschichten erzählt.
Kunstvoll verwebt sie verschiedene Erzählebenen immer enger, sodass bald nicht
mehr klar ist, ob sie selbst, eine Erzählerin, Vampire oder deren Opfer zu uns
sprechen. So möchte Hval auch zeigen, dass sich all diese Geschichten völlig losgelöst von den
sozial konstruierten Rolle erzählen lassen.
An diesem post-geschlechtlichen Narrativ arbeitet sich Hval schon ihre ganze Karriere ab. Bereits während ihres Studiums in Melbourne trat sie als Sängerin in verschiedenen Bands auf und
begann, nachdem sie 2006 nach Norwegen zurückgekehrt war, eigene Musik zu
veröffentlichen. Zunächst als Rockettothesky, seit 2011 dann unter ihrem
Geburtsnamen. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten betreibt sie außerdem das
Label Meddle Records, ist als freie Autorin und Kolumnistin tätig und hat in
Norwegen bereits zwei Romane veröffentlicht. Höchste Zeit also, dass sie auch in München vorstellig wird und der Ort für ihr erstes Gastspiel könnte mit den Kammerspielen kaum passender gewählt sein, denn ihre Auftritte sind stets mehr
Inszenierung als bloßes Musizieren.
Trefflich flankiert wird Hvals Vampirshow an diesem Abend von Vatican Shadow und Elizabeth Bernholz a.k.a. Gazelle
Twin. Zwei Acts, die ähnlich düster funkeln wie Hval, aber auch die
Tanzfläche fest im Blick haben und geschmeidig in den elektronischen Teil
des Abends überleiten. Den bestreiten allen voran Demdike Stare aus
Manchester. Ihr apokalyptischer Dub Techno ist nicht nur in ihrer Heimat gerade
der heißeste Scheiß und speist sich aus allem, was die britische
Elektrolandschaft so hergibt: Ambient, Industrial, Dubstep und Hardnoise aber
auch Dancehall und Jungle. Ein weiterer Elektroact der Stunde sind Fjaak.
Die drei Berliner werden mit ihrem frisch gepressten Debüt nach München reisen
und zeigen, wie treibend und vielseitig sich analoger Live-Techno im Jahr 2017
anhört. Nach all dem frischen Blut wird Euch schließlich Superpitcher, ein Veteran
des legendären Kölner Kompakt Labels, in die
Münchner Nacht entlassen. Ob
dort Vampire auf Euch warten? It´s up to you!