Wie gewohnt, folgt unter dieser Überschrift meine Rückschau auf die zehn besten Platten des Jahres:
Jenny Hval – Blood Bitch
2016 war nicht nur ein Jahr von Krieg und Terror, von
Polizeigewalt gegen Afroamerikaner*innen, von desillusionierenden Wahlen und
Wahlkämpfen – 2016 stand auch im Zeichen der Vagina. Ob im Freebleeding
gewissermaßen als Ausdruck feministischen Aktivismus oder als neu entdecktes
Lifestyle-Accessoire in Blogs und Magazinen: Die Vagina war im vergangenen Jahr
präsent wie nie. In Kunst und Musik ist die Auseinandersetzung mit Geschlecht
und Rolle freilich kein neues Phänomen. Eine, die diese sozialen Konstrukte
besonders anschaulich zerhackstückelt, ist die norwegische Sängerin Jenny Hval. Auf ihrem vierten Album "Blood Bitch" entwickelt sie eine konzeptuell brillante und musikalisch vielschichtige tonale Erzählung. Pulsierende Beats, Vocalsamples und transzendenter Ambientkrach bilden körperlose Flächen für Hvals zwischen Schönheit und Horror changierenden Gesang. Ein Album, dunkel wie Blut und von bleicher Anmut wie eine moderne Vampirsaga.
CFCF - On Vacation
Ganz egal was in der Welt so passiert, Mark Barrott hat sich vorgenommen mit Euch den Rest aller Tage an einem friedvollen Südsee Strand zu verbringen. 2016 unterstrich er dies mit seinem wundervollen Album "Sketches From an Island", vor allem aber auch mit der Balearic-Mini-LP-Serie seines International Feel-Labels. Deren zweiter Release kommt von Michael Silver aka CFCF aus Kanada und führt Euch mit haufenweise balearischen Texturen, mit Marimbas, Synth-Pads, einem weichen Sopran-Saxophon, akustischen Gitarren und immer wieder durchschimmernden digitalen Reverbs auf einen nicht enden wollenden Erholungstrip!
CocaineJesus - We're Worried About You
Wenn es nach der Musik geht, wäre es trefflicher gewesen, CocaineJesus hätte sich nach einem Dissoziativum oder einem Benzodiazepan benannt. Oder nach einem Cocktail aus beidem, denn auf "We're Worried About You" liefert der japanische Produzent gleichermaßen schwerelosen wie herrlich entschleunigten Dub-Pop. Der sonore Beat entwickelt einen Sog, der Euch immer weiter hinunterzieht in eine diesig blubbernde Unterwasserwelt, die so heimelig wirkt, als wären Eurem Geist Kiemen gewachsen.
Tortoise - The Catastrophist
Tortoise ist eine der absoluten Benchmark Bands des Post Rock. Neben Mogwai war wohl niemand so wegweisend für das Auflösen klassischer Songstrukturen in der Instrumentalmusik wie die Band um Schlagzeuger und Produzent John McEntire. Als das Genre Anfang der 2000er in alle möglichen Richtungen ausfranste, haben sich Tortoise rar gemacht und sich ganz offensichtlich den Stilrichtungen gewidmet, die sie zuvor lediglich als Vehikel für ihren eigenen Sound genutzt hatten. So wenden sich Tortoise auf "The Catastrophist" mit jedem Song einem anderen Genre zu und entwickeln mit humorvoller Verspieltheit eine Metaebene, die dem eigenen Universum nochmal eine Dimension hinzufügt.
Friends of Gas - Fatal Schwach
Max Rieger hat in diesem Jahr zwei wunderbare Alben veröffentlicht - eines mit seiner Band Die Nerven und eines solo als All diese Gewalt. Darüber hinaus fiel der Stuttgarter aber auch als Produzent der Münchner Post-Punk-Sensation Friends of Gas auf. Schon 2015 hatte sich die Band gemeinsam mit Rieger einige Tage und Nächte ins Münchner Kafe Kult eingeschlossen und dort 12 Songs aufgenommen, die später auf der EP "Tape" und dem Debütalbum "Fatal Schwach" landen sollten. Durch den Verzicht auf ein herkömmliches Studio ist es gelungen, die infernale Bühnengewalt der Friends of Gas auch auf Platte (und Kassette) zu transportieren: Das Schlagzeug und der unheimlich präsente Bass reißen mit dem ersten Einsatz ein Rhythmus-Gerüst nach oben, das immer weiter in den Himmel schießt. Es bildet die Basis für splitternd krachende Gitarrenriffs und Nina Walsers gewaltige Stimme. Mal auf Deutsch, mal auf Englisch schreit, ächzt und flüstert sie ihre reduzierten Texte, kratzt dabei stets am Anschlag und ist an Vehemenz und Intensität schwer zu übertreffen. Das Resultat ist ein fulminanter Bastard aus Noiserock, Kraut, Indie und Post-Punk, der einen aus dem Stand überrollt.
Vivien Goldman – Resolutionary
Vivien Goldman war in den 70ern Teil des Londoner Künstlerkollektivs The Flying Lizards, musizierte aber auch solo und im Afrobeat-/Soukous-Duo Chantage. Heute ist die Journalistin und Professorin der NYU Tisch School of the Arts hauptsächlich als publizistische und akademische Autorität für Punk, Postpunk und Reggae bekannt. Zu Unrecht, wie sich nun zeigt. Mit dem Album „Resolutionary“ hat sie acht facettenreiche Stücke aus den Jahren 1979 - 1982 wiederveröffentlicht, die nun auch ihr musikalisches Talent einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen.
Die Heiterkeit – Pop & Tod 1&2
Das dritte Album der stets gelangweilten Hamburgerinnen behandelt eines der Kernthemen populärer Musik, das aber frei von jedweder Erlösungssuche herrlich gelassen und unaufgeregt erzählt wird. Mehr als auf den Vorgängeralben geschieht dies um den leicht leiernden aber in Betonung, Stimmfarbe und Ausdruck stets erhabenen Gesang von Stella Sommer. Ihre Texte zwischen Frustration und Kapitulation werden durch eine Mischung aus stoischem Indieschrammelrock, blasiertem Slowcore und unaufgeregt-schillerndem Glam-Pop aufs trefflichste aufgefangen und exponiert.
Nicolas Jaar – Sirens
Er ist zurück! Nicolas Jaar, der Meister der Entschleunigung, der sich 2011 mit seinem Debütalbum „Space is Only Noise“ direkt in den Olymp der elektronischen Popmusik katapultiert hatte. Nach dem progressiven, nah am Stadion-Rock gebauten, Projekt Darkside zeigt sich der mittlerweile 26-Jährige auf seinem zweiten Solo-Album auch von ein paar ungekannten Seiten. Zwischen den immer noch wundervollen Downtempo Arrangements lassen treibende Bässe und tackernde Synths den Energiepegel auch mal ordentlich nach oben schnellen. Abwechslungsreiche sechs Songs über 40 Minuten, die die Vielfalt Jaars Talents dokumentieren.
DIIV – Is The Is Are
Anfang 2016 machten Cole Smith und seine Band DIIV endlich wieder mit Musik Schlagzeilen. Die Freude über das großartige Album „Is The Is Are“ währte aber nicht lange, denn auf der Europa-Tournee verließen Cole die Kräfte wieder: Ihr Konzert in München und alle weiteren wurden wegen „akuter gesundheitlicher Probleme“ abgesagt. Bereits 2014 hatte Cole während eines längeren Aufenthalts in einer Entzugsklinik einige Songs geschrieben, die zwei Jahre später auf "Is The Is Are" landen sollten. Auf den 17 Nummern, die es schließlich geworden sind, mäandern ein stoisches Schlagzeug und eine ruppig-bröselnde Gitarre dahin, ohne sich je groß zu erheben. Statt Konfetti und eingängigen Refrains setzen DIIV auf ätherisch-hypnotisches Understatement und so schälen sich mit jedem Durchlauf des Albums neue Qualitäten und Referenzen heraus. Die verschiedenen Einflüsse von Neu! bis Sonic Youth ziehen immer wieder fast unmerklich auf und zerfallen im Windhauch des nächsten Gitarren Jangle.
Anfang 2016 machten Cole Smith und seine Band DIIV endlich wieder mit Musik Schlagzeilen. Die Freude über das großartige Album „Is The Is Are“ währte aber nicht lange, denn auf der Europa-Tournee verließen Cole die Kräfte wieder: Ihr Konzert in München und alle weiteren wurden wegen „akuter gesundheitlicher Probleme“ abgesagt. Bereits 2014 hatte Cole während eines längeren Aufenthalts in einer Entzugsklinik einige Songs geschrieben, die zwei Jahre später auf "Is The Is Are" landen sollten. Auf den 17 Nummern, die es schließlich geworden sind, mäandern ein stoisches Schlagzeug und eine ruppig-bröselnde Gitarre dahin, ohne sich je groß zu erheben. Statt Konfetti und eingängigen Refrains setzen DIIV auf ätherisch-hypnotisches Understatement und so schälen sich mit jedem Durchlauf des Albums neue Qualitäten und Referenzen heraus. Die verschiedenen Einflüsse von Neu! bis Sonic Youth ziehen immer wieder fast unmerklich auf und zerfallen im Windhauch des nächsten Gitarren Jangle.
A tribe called quest – We Got It From Here ... Thank You 4 Your Service
Die Großmeister des Conscious Rap, Q-Tipp und Phife Dawg, haben sich noch einmal zusammengefunden und blicken mit 16 famosen neuen Tracks zurück auf die acht Jahre ihres Schaffens: Von den noch etwas raueren Beats auf „People's Instinctive Travels and the Paths of Rhythm" bis zu den poppigeren Vocals auf „The Love Movement“. Dabei klingen A tribe called quest ganz und gar nicht aus der Zeit gefallen und zeigen, welch visionären Sound sie in den 90ern geliefert haben. "We Got It From Here ... Thank You 4 Your Service" ist das Comeback einer der größten Bands des Hip Hop und - nach dem tragischen Tods Phife Dwags - gleichzeitig ihr Vermächtnis.