2015 on 33


In einem Jahr, in dem sich unser Zusammenleben neue Wege erkämpfte, war von Revolution oder auch nur Vision in der Musik vergleichsweise wenig zu bemerken. Bestes Beispiel ist eine glänzend produzierte aber doch weitestgehend wiederkäuende R&B/ Hip-Hop Platte von Kendrick Lamar, die unisono wie selten gefeiert und gar zur Zukunft afroamerikanischer Musik stilisiert wurde. Aber natürlich gab es Ausnahmen:

Theesatisfaction - Earthee

Stasia Irons und Catherine Harris-White aus Seattle sind dem geneigten Hip-Hop Publikum bereits seit ihrem Debüt „Awe naturale“ und ihrem Mitwirken auf dem letzten Shabazz Palaces Album ein Begriff. Ihre neue Platte „Earthee“ ist, um nochmal in obigen Duktus zu verfallen, so etwas wie die musikalische Reflexion gesellschaftlichen und kulturellen Wandels. Die zähe Instrumentierung und die stolpernden Beats spiegeln die poetische Zerrissenheit der Songs perfekt wieder. Prog-Jazz, dunkler New Wave und schriller Funk stehen sich gleichberechtigt und selbstverständlich gegenüber – müssen aber nicht zusammenfinden.






Suzanne Kraft – Talk from home

Diego Herrera veröffentlichte bisher unter anderem auf dem Amsterdamer Deep House Label Rush Hour und auf Gerd Jansons Running Back - als Suzanne Kraft nimmt er sich nun eine Auszeit vom Dancefloor und verwandelt die Ruhe seiner Tage in Musik. Sanft arrangierte Steeldrums und analoge Synthis erzählen von einsamen tropischen Inseln und friedvollen Plätzen in der Südsee.





Die Nerven – Out

Niemals die gleiche Platte zweimal aufnehmen ist eine Vorgaben, die sich die Nerven selbst gesteckt haben. Bisher haben die drei Stuttgarter Wort gehalten und gehen auch mit ihrem dritten Album "Out" konsequent nach vorne. Der Noiserock des ersten Albums wurde sukzessive in verspielteren Rhythmen und Songstrukturen kanalisiert. Die ruhigeren Passagen werden mittlerweile auch mal von einer Trompete untermalt, der Gesang wirkt ein bisschen poppiger, die Texte verzweifelter.





Part time – Virgo´s Maze

David Loca hat sich ganz schön Zeit gelassen - Virigo´s Maze, die 20 Songs umfassende Doppel LP seines Lo-Fi Projekts Part time war schon für 2013 angekündigt, hat sich dann aber doch um zwei Jahre verzögert. Eigentlich scheint es, als hätte sich Loca schon viel länger - etwa seit Mitte der 80er - in eine kleine Garage direkt an Londons tropischem Palmenstrand eingeschlossen. Dort baute er sich aus  clean-melancholischen Schrammel-Gitarren, neonfarbenen Synthielines und wavigem Gesang seinen ganz eigenen zeitlos verschrobenen Sound zusammen.






El Vy – Return to the Moon

El Vy ist das neue Projekt von Matt Berninger von The National und Brent Knopf von Menomena und Ramona Falls. Die beiden kreieren einen Sound, der sich in seiner Synthetik erheblich von The National unterscheidet. Knopfs entschlacktes Songwriting rückt einzelne charakteristische Instrumente immer wieder in den Vordergrund und Berninger zeigt, dass er auch in weniger opulenten Arrangements gehörig Charme und Prägnanz entwickelt. 





Pisse – Mit Schinken durch die Menopause

Aufgenommen wurde das Album des Vierers aus Hoyerswerda von Stereo Totals Brezel Göring ("weil er berühmt ist und wir dachten, wenn wir uns an seinen Arsch hängen werden wir das auch"). 80s-lastiger Punkrock ohne Bass, dafür mit Theremin und Synthies. Deutsche Texte über Biertitten und Stinken; übers große und kleine Scheitern. 








Jaakko Eino Kalevi –  Jaakko Eino Kalevi

Jaakko Eino Kalevis selbstbetiteltes Debüt ist das erste Album des Finnen, das auch außerhalb seiner Heimat erscheint. Untätig war der Wahl Berliner bisher dennoch nicht. Unter zahlreichen Pseudonymen und mit sechs verschiedenen Bands hat Jaakko bisher veröffentlicht, um nun als weiß-befrackter Crooner die Dream Pop Welt zu erobern. Auch wenn er auf der neuen Platte fast alles selbst eingespielt hat, klingt es ein wenig als hätte er eine Jam Session aufgezeichnet: Getragen von dunklen Synthiechords und souveränem Diskogroove flackert immer wieder eine Gitarre auf, die den Sound mal in eine funkige, mal in eine jazzige Richtung stupst.







Toro Y Moi – Samantha

Chaz Bundick alias Toro Y Moi hat in diesem Jahr gleich zwei Alben rausgehauen, die einmal mehr unterstreichen, dass er scheinbar mühelos Stile adaptieren und ins eigene Universum übersetzen kann. Zunächst tobte er sich auf "What for?" im 60er-/70er-Jahre-Psy-Rock aus, um dann mit dem Mixtape "Samantha", das er zum freien Download anbietet, auf schon gewohntes Hip-Hop und Funk Terrain zurückzukehren. Bestens begleitet u.a. von Kool AD, Rome Fortune oder Washed Out.






LeRoy – Skläsh

LeRoy a.k.a Leroy Schlimm hat in den letzten Jahren bereits mit großartigen DJ Sets und Edits, aber auch mit seinen Bandprojekten Rhytm Police und Das Hobos haufenweise Lobsticker im Klassenbuch gesammelt. Auf „Skläsh“ scheint er sich nun auch noch vorgenommen zu haben, ein wenig Ordnung in sein Kinderzimmer zu bringen: Da werden alte Hendrix Platten abgestaubt, Drachenfiguren neu bemalt und H. P. Lovecraft Bücher im Regal nach Farben sortiert. Ist erst einmal alles an Ort und Stelle jagt LeRoy die Süße der Jugend alsgleich durch die verschiedensten musikalischen Referenzrahmen; schlawinert sich durch Krautrock, Funk, Folk-, Lo-Fi- und Indienpop und vermischt das Ganze mit diversen Fieldrecordings, Ambient Flächen und analogen Beats und Instrumenten.




Darkstar – Foam Island

2015 war ein ganz herausragendes Jahr für Jay und Aiden von Darkstar: Zunächst veröffentlichten die beiden das tolle Mixtape Kirklees Arcadia zum freien Download, um dann im September zum ganz großen Wurf anzusetzen: Foam Island ist nicht nur ein großartiges Album, sondern auch eine Oral History der seit der Thatcher Regierung in den 80ern am stärksten gebeutelten Region des United Kingdom. Ganz ohne zu nerven haben die beiden Interviews mit jungen Menschen aus Ihrer nordenglischen Heimat in das Album eingeflochten. Perfekt in Szene gesetzt durch eine aufs Wesentliche reduzierte Instrumentierung: Klare und dennoch fragile Beats bilden die Grundlage für den dezenten Einsatz atmosphärischer Keyboards und Streicher.