2014 on 33

Ob im Slow Living oder im Slow Journalism: Entschleunigung und Kontemplation waren 2014 die Sehnsuchtsorte geplagter Großstadtseelen. Damit Ihr Euch schon mal auf das nächste große Ding Slow Blogging einstellen könnt, hier die verspätete Rückbesinnung auf die besten zehn Alben des vergangenen Jahres: 

Arca - Xen

2015 wird Alejandro Ghersi alias Arca das nächste Björk Album produzieren. In diewsm Jahr hatte er bereits für Kanye West und FKA Twigs die Finger am Regler. Überdies fiel Arca durch seine Kollaborationen mit dem Videokünstler Jesse Kanda auf, dessen albtraumhafte Animationen er zurückhaltend und an gegebener Stelle bedrohlich vertonte. Ähnlich cineastisch kommt nun auch sein Debütalbum Xen um die Ecke – nicht mehr durchweg böse, aber doch mit jener klar klirrenden Kälte, die 2014 so viele Produktionen auszeichnete. Auf entfremdete und doch glockenreine Beats, die immer wieder über sich selbst zu stolpern scheinen, setzt der in Caracas geborene Wahl-Londoner melodiöse Reizpunkte und kokettiert mit balearischen Klängen oder asiatischer Obertonmusik. Das Album ist gleichermaßen reduziert wie vielschichtig - ein futuristisches Opus und großes Kino.





Sean Nicholas Savage – Bermuda Waterfall

Sean Nicholas Savage badet gerne. Am liebsten in Traurigkeit und Weltschmerz, aber auch in der Schönheit der Natur oder einer zwischen-menschlichen Erfahrung. Deren Fragilität besingt er mit zerbrechlichem Falsett so seelenvoll, so verführerisch und ehrlich überzeugend, dass aller Schmalz ganz selbstverständlich erscheint. Da fallen selbst abgeschmackte Zeilen wie “pink sun came up and I started to cry” gar nicht weiter ins Gewicht. Ein stark vom R&B und Soul geprägtes Album mit minimalen Synth Pop Elementen, das wächst und wächst und wächst.







Chinawoman – Let´s part in Style

Bereits seit 2005 veröffentlicht die russisch-stämmige Kanadierin Michelle Gurevich unter dem Pseudonym Chinawoman. Auch auf ihrem dritten Album lotet sie sämtliche Nuancen zwischen schwarz und weiß, sämtliche Graustufen zwischen Tragik und Komik allegorisch aus und füllt sie mit zauberhafter Melodiösität. Gegenüber ihren bisherigen Veröffentlichungen treten auf Let´s part in Style Synthie Arrangements in den Vordergrund und stubsen ihren chansonhaften Pop ein klein wenig in Richtung Wave. Mit dunklem, androgynem Timbre verleiht sie ihren Songs Schwermut und Melancholie, aber auch Eleganz und Feierlichkeit. Ein großartiges, ergreifendes Album das einen nicht mehr loslässt.







Mogwai – Rave Tapes

Wie schon beim Vorgänger Hardcore will never die but you will, wird auch auf Rave Tapes der stilistische Querverweis im Titel nicht eingelöst - Mogwai spielen immer noch Postrock und sind in diesem Genre immer noch das Maß aller Dinge. Kaum eine andere Band versteht es, so konstant Hits zu schreiben, die ohne Gesang funktionieren. Songs, die sich immer wieder neu erfinden und stets eingebettet sind in ein gleichwohl fragiles wie bedrohliches Ganzes. Rave Tapes, das mittlerweile achte Studioalbum der umtriebigen Schotten, ist nun wohl das ausgereifteste Kopfkino der zwanzigjährigen Bandgeschichte. Das Songwriting ist nochmal runder und weicher geworden und die elektronischen Schraffuren und Effekte wirken noch dichter und komprimierter. Mogwai haben einmal mehr alle Tiefen und Höhen der instrumentalen Rockmusik ausgelotet und die Grenzen des Universums erneut ein kleines Stückchen weiter zurückgedrängt.






Alte Sau – Alte Sau

Jens Rachut hat 2014 die feuchtesten Träume seiner Anhängerschaft wahr werden lassen und mit Ratttengold die alten Hits von Dackelblut, Angeschissen, Blumen am Arsch der Hölle und Oma Hans wieder auf die Bühne gebracht. Wahnsinn. Ein Jahr ohne ein richtig echt neues Bandprojekt ist aber auch mit sechzig keine Option für Rachut und das selbst-betitelte Debüt von Alte Sau sticht aus allen Großartigkeiten der letzten Jahre sogar ein klein wenig heraus. Punk Rock à la Rachut, diesmal mit Orgel und - klar - Frauenchor. 






18+ - Trust

Schon seit 2011 geistern Demos und Mixtapes zweier Chicagoer Kunstschulabsolventen durchs Netz, die sich Boy und Sis mit dem Präfix 18+ nennen. Ein Name mit höchster Google-Sicherheit, und so konnten sich die beiden in den Untiefen des Netzes seelenruhig formieren um nun mit ihrem Debüt alle Versprechungen des neuen, aufwändig produzierten R&B à la Banks und FKA Twigs einzulösen. 

Trust ist klirrend klar produziert, voll melodiöser Dissonanzen und doch eingängig und schwerelos. Der zart gehauchte Sprechgesang verhallt in tiefen Gräben zwischen Verlangen und Unbehagen, zwischen Rolle und Identität und illustriert die Unangemessenheit dichotomer Denkmuster. Das Album ist ausschließlich in virtueller Zusammenarbeit entstanden und so blieb den beiden sogar noch Zeit, das ebenfalls großartige Album des Elektro Soul Barden Dan Bodan zu produzieren. Schöne neue Welt.









Kassem Mosse - Workshop 19

Der Leipziger Kassem Mosse sieht sich nicht als Teil dieser oder jener Szene. Das hört man seinem sperrigen Sound auch an. Wenn es denn sein muss, kann dieser irgendwo zwischen Deep House und Dub Techno verortet werden und ist geprägt von einer strukturellen Offenheit, die fast schon an Improvisation erinnert. Gleichsam wie in einer Jam Session irrlichtern E-Pianos oder Meldodiepartikel analoger Synthies scheinbar lose herum und auch die einzelnen Elemente des Schlagwerks zerren zunächst in verschiedene Richtungen bevor sie irgendwann in diskret vertrackten Beats zusammenfinden. Kassem Mosses reduzierte Arrangements scheinen dem elektronischen Kontext weitestgehend enthoben. Sie stehen daneben - im allerbesten Sinne. 








Inga Copeland - Because I’m worth it

Selten war es für Dritte so schlimm eine Beziehung in die Brüche gehen zu sehen. Nachdem Inga Copeland und Dean Blunt sich 2012 privat trennten, war auch ihre musikalische Liaison Hype Williams beendet. Die Zeit heilt bekanntlich alle Wunden und mittlerweile kann man dem ganzen sogar etwas positives abgewinnen. Seit beide auf Solo Pfaden wandeln, hat sich ihr ohnehin schon großer musikalischer Output quasi verdoppelt. Nachdem Dean Blunt 2014 bereits sein zweites herausragendes Solo Album vorlegte, hat nun auch Inga Copeland nachgezogen. Ihr selbst-veröffentlichtes Debüt because I’m worth it ist ein durchweg kühles, abstraktes Meisterwerk. Eigenständig, verführerisch und geheimnisvoll. 




HTRK - Psychic 9-5 Club

HTRK zeichnet seit jeher ein feines Gespür für Minimalismus aus. Der Noiserock der ersten beiden Alben spielte mit der repetitiven Reduziertheit des Techno, war klar, knapp und catchy. All das gilt auch für ihr jüngstes Werk Psychic 9-5 Club nur sind die Gitarren mittlerweile ganz verschwunden. Übrig bleibt ein zuweilen zärtlich sehnsüchtiger, zuweilen dunkel melancholischer Dub-Pop, brillant und schlank produziert, voller subtiler Umbrüche. Stets getragen von Joaninne Standishs müden und dennoch einnehmenden Erzählungen.








Ariel Pink - Pom Pom

Ariel Rosenberg alias Ariel Pink kommt mittlerweile ohne The Haunted Graffiti aus und hat mit Pom Pom also sein erstes Solo Album veröffentlicht. Im Vorfeld hat sich Klein Ariel noch eben ein richtiges Bad Boy Image zugelegt, in einem Interview reichlich Sexistisches vom Stapel gelassen und sich mit der Queen of Pop höchstpersönlich angelegt. Reaktionär zur Schau gestellte Männlichkeit so ganz ohne Augenzwinkern war bisher eigentlich nicht Ariels Sache und so bleibt zu vermuten, dass er nach Vollendung von Pom Pom tatsächlich ein bisschen zu dicke Eier hatte. Das Album nämlich ist ein großes geworden - und ein souveräner Parforceritt durch die Geschichte der populären Musik: Sixties Rock, College Punk, pompöser Glam und Goth Rock fließen in irren Harmonien zusammen. John Maus, sein Bruder im Geiste und alter Bandkollege, wird warm umschlossen ohne dabei die Hypnagogie zu vernachlässigen: Der Übergang von Traum zu Wahn, von schrulligen Gimmicks zu Pomp und Gloria ist fließend. Die Träume des Ariel Pink sind noch ein bisschen größer und noch ein bisschen schillernder geworden.