Kraut & Drastik: Von Autobahnen aus weißem Sand

Ab Dezember widmet sich die Veranstaltungsreihe Kraut & Drastik an den Münchner Kammerspielen einer der prägendsten Epochen deutscher Musikkultur: dem Krautrock der Jahre 1968-1975.

1968 war nicht nur das Jahr der Revolte gegen die Bundesrepublik der Eltern, gegen muffende Talare und bestehende kulturelle Werte. 1968 war auch das Jahr in dem sich eine eigenständige deutsche Musikszene etablierte, die für die internationale Popmusik der nächsten 30 Jahre wegweisend sein sollte und beispielsweise Damon Albarn zu der Vermutung veranlasste, Deutschland sei „eine 1000 Meilen lange Autobahn aus weißem Sand, an der Lautsprecher in Bananenbäumen hängen".
Bis Mitte der Sechziger übte sich die deutsche Musikszene überwiegend darin, angloamerikanische Rockmusik zu imitieren oder sie in kitschig seichte Schlager zu überführen. Für diejenigen, die nach einer eigenen Identität innerhalb der modernen Popkultur suchten, bildete die experimentelle Prozesskomposition des späteren Professors für Komposition Karlheinz Stockhausen einen adäquaten Bezugsrahmen. Stockhausen war bereits Anfang der Fünfziger am Aufbau des Studios für elektronische Musik in Köln beteiligt. Er verfremdete Instrumentalklänge und fügte sie in einer frühen Form des Sampling zu komplex rhythmischen Gebilden zusammen, die Melodiösität weitestgehend negierten. Bands wie Amon Düül, Can, Cluster und Embryo nahmen diesen Ansatz Ende der Sechziger auf und mischten Versatzstücke des psychedelischen Rock und Folk mit experimentellen elektronischen Klängen. Je nach Akzentuierung führte dies zu einem breiten musikalisch Output, weshalb der, vom britischen Radio DJ John Peel geprägte Begriff Krautrock weniger ein Genre denn eine Epoche beschreibt.
Die fünfteilige Konzert- und Diskursreihe Kraut & Drastik an den Münchner Kammerspielen bietet nun viel Raum, sich mit dieser Epoche und dem was daraus entstand auseinanderzusetzen. 
Los geht’s am 14.12. mit einem Ausflug in eine der Keimzellen des Krautrock: Düsseldorf. Zu Gast ist unter anderem Michael Rother, dessen Bands NEU! und Harmonia maßgeblicher Bestandteil der Düsseldorfer Szene waren. NEU! gründete Rother 1971 gemeinsam mit dem Kraftwerk Mitglied Klaus Dinger. Die minimalistische Verschmelzung, elektronischer Soundflächen und Samples mit Instrumentalimprovisationen inspirierte eine ganze Generation von Musikern, nachweislich etwa David Bowie, Thurston Moore oder Thom Yorke
Ähnlich einflussreich war auch Rothers spätere Band Harmonia. Im Vergleich zu NEU! traten hier Anleihen arabischer und hinduistischer Musik, aber auch Synthesizer und Gesangsmelodien stärker in den Vordergrund. In den Kammerspielen präsentiert Rother nun gemeinsam mit dem Schlagzeuger Hans Lampe Stücke dieser beiden Bands und ausgewählte eigene Kompositionen. 




Den Bogen in die Gegenwart schlägt die zweite Band des Abends Stabil Elite: Musik und Texte des Düsseldorfer Elektronik Trios schmiegen sich, genau wie Stil und Pose, eng an die musikalische Tradition ihrer Heimatstadt. Sie verarbeiten Krautrock, Punk, Dada- und Elektropop Einflüsse zu einem eigenständigen, „retrofuturistischen“ Sound.




Abgerundet wird die Eröffnungsveranstaltung mit einem DJ Set des Mit-Kurators Esclé, einer Vinyl-Lecture des SZ Journalisten Dirk Wagner und einer Podiumsdiskussion. Ein stimmiges Konzept – war doch die Verschmelzung von Theorie und Praxis, von Wissenschaft und Kunst der Anspruch vieler Protagonisten des Krautrock.

für: superpaper