So überschreibt man doch Jahresrückblicke - zumindest, wenn FM4 für die musikalische
Frühförderung zuständig war. Weiter dann: Musikalisch geht ein tolles und abwechslungsreiches
Jahr zu Ende. Sich auf zehn besonders herausragende Alben festzulegen, fällt dementsprechend
schwer. Eine Annäherung:
Dean Blunt - The Redemeer
Den Londoner
Dean Blunt kannten wir bisher vornehmlich als eine Hälfte des Dub Pop Duos Hype
Williams. Nach einem Mixtape im letzten Jahr und einem gemeinsamen Album mit Inga
Copeland ist The Redemeer nun Blunts erste Soloveröffentlichung. Jenseits gewohnter
Songstrukturen setzt er 19 Tracks zu einer großen Erzählung über die moderne Liebe
zusammen. Die Zerrissenheit zwischen schnelllebigen, medial vermittelten Klischees
und romantisch überhöhten Ansprüchen transportiert Blunt narrativ im collagenhaften Aufbau des Albums. Kurze wahnhafte Anrufbeantworter-Aufnahmen
treffen auf Klavier Songwriting, hypnotische Hip Hop Beats und Blunts tiefe, tragende
Stimme. Etwas verkopft und nicht unbedingt catchy - aber ein wunderschönes Ganzes,
das hierzulande bisher zu wenig Aufmerksamkeit erfahren hat.
Washed Out - Paracosm
Im August
diesen Jahres erschien Paracosm, das zweite Album Ernest Greenes alias Washed Out.
Eine wunderbare Sommerplatte, die aber auch im Herbst und Winter noch großartig
funktioniert. In Greenes Parallelwelt scheinen die Jahreszeiten ohnehin gleichzeitig
stattzufinden - mit Hilfe angeblich etwa fünfzig unterschiedlicher Instrumente und
Naturtöne verändert er die Wirklichkeit nicht durch Distanz, sondern durch Nähe
zu ihr. Im Vergleich zum Vorgänger Within And Without drehte Greene nochmal an ein
paar kleinen, aber wirkungsvollen Stellschrauben: Die Beats, meist mit Schlagzeug
eingespielt, stehen etwas mehr im Vordergrund und Greenes vervielfachter weicher
Gesang schmiegt sich noch etwas enger an die detailverliebte Klangwelt. Dub, Ambient,
umgedrehte Gitarrenriffs - alles wirkt bekannt und doch neu, vor allem aber friedlich
und gut - it all feels right:
Bosnian Rainbows - s/t
Omar Rodriguez
Lopez von at the drive in und Mars Volta hat eine neue Band. Mit den Bosnian Rainbows
verfolgt er einen deutlich poppigeren Ansatz als mit den großen Vorgängerinnen und
scheint dafür die richtigen Schlüsse gezogen zu haben. So fransen auch die Bosnian
Rainbows an den Genregrenzen ordentlich aus, anders als bei Mars Volta wird dies aber durch
klare, engmaschige Songstrukturen kanalisiert. Fixpunkte setzen dabei - wie
schon bei at the drive in - wuchtige Gitarren, kompromisslose Breaks und hysterische Tempowechsel.
Die Bosnian Rainbows garnieren dies - ganz zeitgemäß - mit banalem Shoegaze, New
Wave und zersetzten Synthie Pop Fragmenten. Spätestens hier ist dann auch Schluss
mit den Vergleichen zu den Vorgänger Bands - Rodriguez Lopez stellt sich mit den
Bosnian Rainbows erfolgreich auf die Schultern der eigenen Riesen.
Unmap - Pressures
Da kam
auf den letzten Metern des Jahres aber nochmal so richtig was ums Eck: Tolles Debüt
der neuen Band um Alexander Stolze von Bodi Bill. Gemeinsam mit der irischen Performance
Künstlerin Mariechen Danz sollte eigentlich eine musikalische Untermalung für Danz´s
Auftritte entstehen. Das Material aber verselbständigte sich und verlangte schnell
nach einem größeren Rahmen, den es mit der Band Unmap bekommen sollte.
Unmap´s
Sound ist eine Berliner Interpretation des Indie Pop: Deutlich elektrolastig, minimalistisch
aber auch mit einem gewissen Hang zum Pathos. Das düster poppige Elektrogefrickel
von Bodi Bill schimmert immer wieder durch, eckig und eigen werden Unmap aber durch
Mariechen Danz´s Stimme und ihre Art des Gesangs (so war "hankerchief"
bisher nicht im Verdacht ein besonders aufregendes Wort zu sein).
Produziert
haben das Ganze T. Raumschmiere und PC Nackt,
der uns in den letzten Jahren als Teil von Apparat und Betreiber des Chez Cherie
Studios in Berlin wiederholt positiv aufgefallen ist.
Mount Kimbie - Cold Spring Fault Less Youth
Mount Kimbie´s
Debüt Crooks & Lovers durchbrach 2010 den Londoner Garage und Dubstep Smog wie
ein Leuchtfeuer. Ihr Sound konnte wohl nur dort und nur zu dieser Zeit entstehen
und verlangte alsgleich nach einer neuen Schublade im Genrecontainer. Die war mit
„Post-Dubstep“ schnell gefunden - dumm nur, dass Kai Campos und Dom Maker das Genre
mit ihrem zweiten Album Cold Spring Fault Less Youth gleich wieder sprengen. Zu
den verrauschten Gitarrenriffs, Reverb-Dubs und verhakten Vocal-Samples gesellt
sich Gesang, der die Räume zwischen den Beats harmonisch füllt und das Album hier
und da in Richtung Indie Pop stubst. Die Dunkelheit des Dubstep wurde damit gänzlich
vertrieben, was es Schubladisten schwer machen dürfte - denn "Post-Post- .."
will ja wirklich niemand hören.
Iceage - You´re nothing
Die jungen Dänen von Iceage haben seit ihrem Debüt
vor zwei Jahren nochmal eine ordentliche Schippe drauf gepackt. Ihr düsterer
Post-Hardcore strotzt nur so vor Reminiszenzen an große US Bands der 80er und
wird stilsicher abgerundet mit einer Prise Noiserock und straighten Power Pop.
Frontman Elias Bender Rønnenfelt pendelt stimmlich erfolgreich zwischen Genie
und Wahnsinn und trägt durch die fulminante halbe Stunde Spielzeit.
Boards of Canada - tomorrows harvest
Am record store day erschien das jüngste Werk des schottischen
Produzentenduos Boards of Canada. Acht
Jahre haben sich Mike Sandison und Marcus Eoin dafür Zeit gelassen und sich derweil
in ihren Elfenbeinturm verkrochen. All der Lärm, all die Verwirrungen der Welt scheinen
von dort aus bestenfalls ein weit entferntes Rauschen und so entstand mit tomorrows
harvest erneut ein wundervoll entrücktes und zeitlos erhabenes Album.
Verwaschene Samples, Synthieflächen und einzelne Beats verdichten sich ganz langsam
und organisch und illustrieren den steten Widerstreit von Melancholie und Glückseligkeit,
den wohl auch Menschen führen, die mit der Welt nichts zu tun haben.
Dj Koze - Amygdala
Amygdala ist ein
Album wie ein Urlaub. Wie eine Ballonfahrt
übers Auenland oder ein Tag in der Hängematte am Ufer des Brandyweins. Abgründe tun sich auf
und werden alsgleich zugeschüttet mit unzähligen Melodien, Flächen und
Geräuschen. Mir ruhiger Hand führt Kosi herumgeisternden Hall, wundervoll entschleunigte Housebeats und Soundschnipsel aller möglichen Instrumente meisterhaft zusammen.
Abwechslungsreich und hochkarätig sind auch die Mitwirkenden auf Amygdala - in Sachen Features wurde der gute Kosi in diesem Jahr wohl nur von Sido getoppt. Mit dabei sind
u.a. Dirk von Lowtzow, Mathew Dear, Caribou und Sascha Ring a.k.a Apparat:
Earl Sweatshirt - Doris
Immer wieder
erstaunlich, wenn sehr junge Musiker sehr erwachsene Musik machen. Manchmal zeugen Stimme, manchmal Texte, manchmal der komplette musikalische Ansatz von einer Reife,
die der altersweise Konsument nicht mit gerade der Pubertät Entsprungenen überein
bringen mag. Der 19 jährige Earl Sweatshirt aus Tyler The Creators Odd Future Wolf Gang hat nun all dies in sein Debüt gepackt: Reflektierte Texte, routinierten, punktgenauen Flow und genauso leichtfüßig, wie schwer bedrohliche Beats, die Earl auch selbst
baut, wenn nicht gerade RZA, Pharell oder The Alchemist Hand anlegen. Ein ganz großer
Wurf, der auch Odd Future nochmal auf eine neue Ebene hebt.
Darkside - Psychic
Darkside
ist das neue Projekt von Nicolas Jaar - dem Meister der Entschleunigung. Gemeinsam
mit dem Gitarristen Dave Harrington begibt er sich auf die Suche nach der dunklen
Seite elektronischer Popmusik. Resultat ist ein schwer festzumachender, düsterer
Klangkosmos, der die 100 BPM Marke freilich selten überschreitet.
Auf einen Teppich
aus abgehangenen Beats betten die beiden Fragmente psychodelischer und progressiver
Gitarrenmusik. Kongenial transportieren Jaars typisch herab gepitchte Arrangements
und Harringtons modulierte Gitarrenriffs Einsamkeit, Melancholie und Blues.
Sodala. Natürlich gab es auch großartige Singles. Deshalb zum Abschluss eine Playlist mit 25 Tracks des zu Ende gehenden Jahres: